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Neophilologus (2007) 91:261 280 Springer 2007 DOI 10.1007/s11061-006-0007-8
AUCH VERZWEIFLUNG IST GLUCK
Melancholie und Melancholiker in Tiecks Phantasus
R. HILLENBRAND
Universitat Pcs, Lehrstuhl fur deutschsprachige Literatur, Ifjusag utca 6, H-7624 Pecs
Abstract
Tieck uses the specialist medical literature of his time to portray the melancholy of his Phantasus-collection. At the same time he ironizes the rationalistic notion of curing melancholy as a disease. Against this concept he sees melancholy as the necessary result of deeper insights into the nature of life. A cure could only be achieved by self-deception, in mild cases by diversion, in serious cases by escaping from reality into insanity. The melancholical genius however cannot abstain from knowledge and therefore falls a victim to despair, which is, on the other hand, the source of his self-condence and so to speak a kind of happiness. Tiecss attempts to overcome the nihilism of his early works never completely succeeded. This is the reason why his pessimistic romanticism never became popular. Understanding his peculiarity can prevent optimistic misinterpretations of his works as if they were part of religiously pacied romanticsm.
In der antiken Saftelehre war es vom Melancholiker als Temperament, Typus, Charakter oder Konstitution eines Menschen zum pathologischen Fall des Wahnsinns nur ein quantitativer Schritt. Schon das Temperament, die melancholische Gestimmtheit, galt als Schritt weg von der ausgewogenen und wunschenswerten Normalitat hin zur krankhaften Einseitigkeit. Der Melancholiker war ein bedauernswertes Geschopf, dem es, wenn moglich, medizinisch zu helfen galt. Zwar ist es, nach Cicero, schon Aristoteles aufgefallen, da,,omnes ingeniosos melancholicos esse, aber im gleichen Satz freut sich Cicero, weniger helle und bei guter Laune zu sein.1 Erst der Neuplatonismus der Renaissance setzt den melancholischen Wahnsinn in Beziehung zum platonischen furor divinus und wertet den Melancholiker positiv zum Genie um.2 Das andert freilich nichts am unangenehmen Charakter der Melancholie; aber die seelische Verstimmung ist nun gewissermaen der Preis, der furhhere Inspiration und Erkenntnis gezahlt werden mu. Erkenntnisfahigkeit und Melancholie gehoren zusammen.
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R. Hillenbrand
Aber diese Auffassung bleibt im Grunde esoterisch. Es dominiert weiterhin die Ansicht von der Melancholie als Krankheit. Sowohl aus christlicher wie aus aufklarerischer Sicht ist sie als Lebenshaltung nicht zu billigen. Fur den auf Gott vertrauenden Christen ist die desperatio oder auch nur tristitia eine Sunde. Fur den Aufklarer kann Melancholie niemals...