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Wer an die Lebenslinie denkt, wird sie sich bevorzugt aufsteigend vorstellen. Auf der Suche nach passender Lektüre mögen sich Theodor Gottlieb von Hippels Lebensläufe nach Aufsteigender Linie, nebst Beylagen A, B, C aufdrängen, verspricht der Titel doch Einblicke in zielgerichtetes Arrivieren. Dieser eigenwillige Roman, von 1778 bis 1781 in drei Teilen bei Voß in Berlin erschienen,1 hält allerdings ganz und gar nicht, was er zu versprechen scheint, ja er liefert nachgerade das Gegenteil: Nicht nur wird von keiner fortschreitenden Karriere erzählt, sondern die „aufsteigende Linie" bezieht sich nicht einmal auf individuelle Biographien. Vielmehr soll es bei dieser Linie um die familiengeschichtliche Genealogie des Erzählers gehen, der sich indes in einen diffusen Plural auflöst; und die Genealogie soll zu allem Überfluss nicht ordentlich der Reihenfolge nach, sondern von vorne nach hinten erzählt werden. Aber nicht nur kommt der Roman von möglichen Söhnen auf den Vater,2 sondern und vor allem vom Hölzchen aufs Stöckchen.
Angesichts der aufsteigenden Linie deutschsprachiger Imitationen von Laurence Sternes The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist dieses Erzählverfahren Hippels allerdings in keiner Weise denkwürdig. Vielmehr häufen sich in der deutschsprachigen Literatur der Zeit die oftmals eher hilflosen als gelungenen Versuche, Sterne'sche Erzählverfahren zu imitieren und zu variieren, sie in neue Umgebungen zu versetzen und das diegetische Experiment des so „launigen" wie „genialen" Briten, wie immer wieder betont, unter den Bedingungen eigener Möglichkeiten zu wiederholen.3 Es bedarf kaum des Hinweises, dass Hippels Lebensläufe nach Aufsteigender Linie in eben diese Sparte gehört und sich von den vielen zeitgenössischen Adaptationsversuchen allenfalls durch die gewählten Stoffe unterscheidet.4 Nichtsdestoweniger lohnt sich ein Blick auf Hippels Roman durchaus, wenn es um das geht, was sich als Poetik der Lebenslinie bezeichnen ließe.
I
Dass auch die Linie des Lebens zu jenen Einheiten gehört, die aus einer Vielzahl unterschiedlicher Begebenheiten und Erlebnissen eine Geschichte konstruiert, muss im Rahmen dieses Bandes mit dem Titel Life Lines nicht eigens hervorgehoben werden. In dem Versuch, den wirren Fäden des Lebens eine einheitliche Form abzugewinnen, „to project a unity out of the various and sundry impressions that run through it" (Tobias, „Rilke" 42), bewegen sich solche Narrative bekanntlich in den Bahnen sozial favorisierter Karrieren. Im 18. Jahrhundert finden sich solche Narrative...