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Maureen Porter im Interview mit Norbert Frieters-Reermann
Das Interview zwischen Prof. Dr. Norbert Frieters-Reermann (NFR) und seiner Kollegin Prof. Dr. Maureen Porter (MP) von der University of Pittsburgh in Pennsylvania wurde per Mail auf Deutsch im Herbst 2020 mitten im US-Wahlkampf transatlantisch geführt und gewährt ausgewählte Einblicke in die Situation in den USA.
NFR: Liebe Maureen, wann wurde in den USA deutlich, dass die Covid-19-Pandemie auch das Schul- und Bildungssystem massiv beeinträchtigen wird?
MP: Bereits sehr früh, auch wenn nicht alle das sofort wahrhaben wollten. Als wir im März 2020 die Dramatik unserer Situation begriffen haben und der Gouverneur von Pennsylvania die Schulen für zwei Wochen für eine "vorübergehende Sicherheitsperiode" schließen ließ, dachten viele Menschen noch, es könnte uns niemals so schlimm treffen wie China. Viele waren davon überzeugt: Wir sind ein entwickeltes Land! Wir sind eine Demokratie! Wir haben keine Herdenmentalität und wir sind kreative Problemlöser/-innen! Obwohl aus den zwei Wochen Schulschließung ein Monat wurde und die Schließung dann schließlich bis zum Rest des Schuljahres verlängert wurde, wollten einige Politiker/-innen immer noch nicht zugeben, dass wir weit mehr als nur eine Gesundheitskrise haben. Viele Menschen aber wußten schon damals: Wenn wir diese Herausforderung gemeinsam als Bürger/-innen bewältigen wollen, bedarf es gesellschaftlicher Solidarität und zwischenmenschlicher Fürsorge. Ob wir diese ausreichend haben, wird sich zeigen.
NFR: Die UN haben die Covid-19-Pandemie als die größte Bildungskatastrophe der Menschheitsgeschichte eingestuft. Wie bewertest Du angesichts dieser Einschätzung die gegenwärtige Bildungssituation in den USA?
MP: Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen wir massive Auswirkungen erfahren. Die Schulen in den USA sind hauptsächlich öffentliche Gesamt- und Ganztagsschulen, die nicht nur pädagogische Aufgaben haben. So erhalten viele Kinder dort Frühstück und Mittagessen, Schüler/-innen aus einkommensschwachen Familien sogar kostenlos. Diese Dienstleistung wurde trotz Schulschließung aufrechterhalten. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass das Essen der Kinder in der Familie aufgeteilt wurde, da viele einkommensschwache von existentieller Nahrungsmittelknappheit betroffen waren. Auch der ungleiche Zugang zu Computern und Internetzugängen wurde sofort deutlich. Einige, vor allem besonders benachteiligte Schulbezirke, entschieden, in der Anfangszeit der Pandemie generell keinen Schulunterricht mehr anzubieten, um nicht nur einer privilegierten Gruppe Online-Unterricht zu ermöglichen. Die damit verbundene Isolation hat viele Kinder sehr geprägt und wirkliche Bildung war oftmals nicht mehr möglich. Im zweiten Monat nach dem Ausbruch der Pandemie, wurde umso deutlicher,...